Dr. Teresa Bischoff
Öldurst – von der Suche nach Eigenwelten
Vor über 300 Jahren schrieb ein kenntnisreicher Kunstliebhaber in Frankreich die Abhandlung Dialogue sur le coloris. Für die damalige Zeit war sie innovativ und sogar ein kleines bisschen revolutionär. Als Roger de Piles sein Essay 1673 veröffentlichte, stand er mit der Parteinahme für die Farbe im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung seiner
Zeit, die das Primat der Zeichnung feierte. Nur in der perfekten Ausführung des disegno wollte man die künstlerische Genialität eines Malers erkennen. Diesen theoretisch-intellektuellen Argumenten hielt de Piles nun eine sinnliche Rezeption entgegen. Nicht die Linie oder der Kontur seien es, die bei einem Gemälde als erstes wahrgenommen würden, sondern die das menschliche Auge anlockende Farbe. Ist sie doch das ureigenste Merkmal der Malerei und verleiht dieser ihr optisches Erscheinungsbild, das sie von allen anderen Kunstgattungen unterscheidet.
Wie aktuell solch ein Jahrhunderte alter Diskurs auch im Jahr 2021 noch ist, beweist der Titel dieses Buches. Kai Klahre ist nicht nur Bild- sondern auch Wortkünstler. Keines seiner Werke darf das Licht der Öffentlichkeit erblicken ohne zuvor von seinem Schöpfer liebevoll und mit Bedacht auf einen ausgewählten Namen getauft worden zu sein.
Öldurst hat der Künstler nun diese Zusammenstellung seiner Arbeiten genannt. Aus zwei Komponenten setzt sich das Wort zusammen und zwei Aspekte umschreibt es auch: Öldurst erklärt sowohl das technische Vorgehen hinter den Bildern, als auch die Gefühlslage des Künstlers vor und während des Schaffensprozesses.
Viel ist schon geschrieben worden über den innewohnenden Drang des Menschen sich zu allen Zeiten und in allen Regionen künstlerisch auszudrücken. Die einen nennen es Kunstwollen, andere reden vom zutiefst erfüllenden Glück, das eigene Innenleben durch bildhafte Formen nach außen kommunizieren zu können. Kai Klahre geht
noch einen Schritt weiter. Er spricht von seinem Werkschaffen nicht als einer einfachen Tätigkeit, sondern von einer Sucht, die ihn ergriffen habe. Seine Droge ist die Ölfarbe, wobei der Durst nach ihr nahezu unstillbar ist. Sie stellt für ihn das ultimative Kunstmaterial schlechthin dar: Sie ist eine Art Masse und dabei doch wandelbar. Sie ermöglicht jede Form des Auftrags, jede erdenkliche Mischung, jeden noch so subtilen Tonwert. Sie
überdauert die Jahrhunderte. Ja, sie lässt sogar Skulpturen aus Holz, Metall oder Papier zu dreidimensionalen Bildern werden. Sie vermag all das auszudrücken, was der Künstler sich in seinen kühnsten Träumen ausmalt. Kurzum: Roger de Piles würde Kai Klahre in die Arme gefallen sein ob seiner koloristischen Begeisterung.
Welches Gewicht der in Nürnberg ansässige
Künstler der Farbe beimisst, wird nicht nur in der Überschrift dieses Buches, sondern auch in zahlreichen Titeln einzelner Arbeiten offenbar. Da weiß Klahre von hungrigen „Farbenfressern“ zu erzählen oder von jungen Frauen, die erst unter Zuhilfenahme zarter Aquarellkreise einen Raum zu begreifen im Stande sind. Ein in flammendes Rot zum autonomen Kunstwerk. Auf Kupferdruck Büttenpapier sind die neuesten Zeichnungen entstanden. Auf diesem Bildträger zu arbeiten ist durchaus diffizil, wobei die Herausforderung auch auf den Rezipienten übertragen wird. Der unkorrigierbare Weg der Linie lässt sich authentisch vom Auge des Betrachters auf dem rauen Papier nachvollziehen und macht das Sehen zum sinnlichen, fast haptischen Erlebnis.
Nahbar lässt Klahre den königlichen Reiter erscheinen, der sich aufgemacht hat, den „langen Weg von Magdeburg nach Bamberg“ zu Pferde zurückzulegen. Durch unwegsames Gelände und grüne Dunkelheit führt ihn seine Reise. Wie gut, dass der Fürst seine Krone zumindest imaginär über sich trägt. Wer weiß, ob er sonst den Strapazen Stand gehalten hätte. Über ihm jedoch spannt sich bereits ein lichtblau aufgehellter Sommerhimmel, der Gutes verheißt. Erst im Zusammenspiel der Struktur gebenden Linien und der atmosphärisch eingesetzten, luciden Farbigkeit kann die abenteuerliche Reise dieses Reiters ihre zauberhafte Kraft entfalten.
Bisweilen begnügen sich die Protagonisten in Kai Klahres Geschichten jedoch nicht mehr mit der Fläche. Die Neugier und der Freiheitsdrang manch einer Figur sind so groß, dass die vorgegebenen Rahmen und Materialien einfach nicht mehr ausreichen.
Vermutlich ist es einer „Skythin“ auch völlig unzumutbar, sich mit lediglich zwei Dimensionen zufrieden zu geben. Als sei sie aus ihrem Bildraum forsch und mutig in unsere Realität gelangt, muss sich das Mädchen auf seinem extravaganten
Reittier erst wieder zurechtfinden. Das ist
nicht verwunderlich. Schließlich hat sie nicht nur ein paar tausend Kilometer, sondern ebenso viele Jahre durchsprungen. So gefährlich ihre Schieflage erscheinen mag, so energisch wirkt sie jener entgegen. Ohne Zweifel wird es ihr gelingen. Gehört sie doch zu einem Reiternomadenvolk, das vor nahezu 3.000 Jahren die eurasischen Steppen nördlich des Schwarzen Meeres durchstreifte.
getauchter Reiter nutzt die Kraft und Energie dieser Farbe und zieht mit ihr und durch sie bestens gerüstet in den Kampf.
Der Mutigste von ihnen ist aber der „Farbkrieger“. Er darf zusammen mit dem Künstler an vorderster Front kämpfen. Gezielten Schrittes durchmisst der unerschrockene Elefant formatausfüllend sein
Terrain. Es versteht sich von selbst, dass das Tier um die Verantwortung weiß, die es trägt und seiner Aufgabe vollumfänglich gewachsen ist. Nur zum Zierrat scheint der kleine Reiter auf seinem Rücken Platz genommen zu haben. Häufig emanzipieren
sich die Tiere in Kai Klahres Bildern mit Hilfe der Farbe zu eigenständigen Persönlichkeiten
und gestalten sich ihre Umwelt nach ihren eigenen Wünschen ganz wunderbar utopisch. Kunstaffine Pferde nehmen das Atelier für sich in Beschlag, ein riesiges Krokodil betätigt sich sogar als „Zeitfresser“. Der freundliche Pinguin, tagein tagaus in zeitlos-elegantes Schwarzweiß gekleidet, braucht bei der Wahl seines Interieurs etwas Abwechslung. Mehr als nachvollziehbar ist es, wenn dieser
„argentinische Freund“ nun bei der Hintergrundgestaltung seines schlanken Hochformates ein euphorisches Farbfeuerwerk statt distinguierter Neutralität bevorzugt. Würde man sich gerne dem
liebenswerten Pinguin und seiner fröhlich-bunten Heiterkeit ein paar Minuten beigesellen, möchte man andere Tiere lieber nur aus sicherer Distanz betrachten. Ein bedrohliches Fauchen entweichtdem Maul der gefährlich nahen Raubkatze, deren Augen wie Jade funkeln. Von „schönster Dunkelheit“
ist dieses Wildtier, dessen Anmut der Künstler
Klahre mittels subtil schimmerndem Farbenspiel auf kleinem Format zu voller Größe entfaltet. Die Kraft der Farbe nutzen die Tiere in Kai Klahres Werken immer wieder auch auf sehr handfeste Art und Weise. Gegen lästige Bärenjäger, die sich nicht einmal ordentlich zu kleiden wissen, hilft
neben Eisbärengebrüll auch eine Handvoll bunter Luftballons. So schwerelos wie die zarten Ballons durch zahlreiche Bilder des Künstlers schweben, so unbeschwert spaziert der umfassend belesene Kai Klahre talentiert und heiter auf der Suche nach seinen Bildmotiven durch die Kunst-, Tier- und Menschheitsgeschichte. Mühelos überwindet er dabei historische Epochenschwellen. Leichtfüßig und technisch stets brillant wandelt er von einer Kunstgattung zur nächsten.
Auf seiner Reise begegnet er „Jan Hus“, der sich mehr über seine blutige Nase zu wundern scheint, als über die hochproblematischen gesellschaftlichen
Umstände, in denen er sich bekanntlich befindet. Einem nicht nur koloristisch äußerst nüchtern gehaltenen „Vercingetorix“ wird auch der von Klahre so fürsorglich übergestreifte metallische Schuppenpanzer nicht mehr helfen können. Der gallische Heerführer ahnt bereits das Unheil, das ihn ereilen wird. Im pastos aufgetragenen dschungelgrünen Dickicht versucht ein „Konquistador“, sich allein durch einen Papierhut vor der Wildnis zu schützen. Ein melancholischer „Orpheus“ hängt seinen Erinnerungen nach, derweil seine „Eurydike“
damit beschäftigt ist, Glühwürmchen zu fangen. Diese Liebesgeschichte kann nicht gut ausgehen. In sein nicht ganz glückvolles – bekanntermaßen aber selbstverschuldetes – Schicksal der „Vertreibung aus dem Paradies“ hat ein anderes Paar sich stattdessen bereits gefügt. Etwas missmutig, immerhin aber von einem silbrigen Schwarm fliegender Fische begleitet, ziehen die beiden ihres Weges, der kein leichter werden wird. Ob historisch, tragisch oder mythologisch: Kai Klahre lenkt seinen künstlerischen Blick mit viel Nachsicht auf den einen Augenblick, in dem der
vermeintliche Held auch nur ein Mensch ist. Für einige solch fein beobachteter Momente nutzt der Künstler die Wirkmacht der Farbe. Für andere hingegen braucht es nicht mehr als eine sicher gezeichnete Linie. Sie umreißt das Essentielle und hält es dauerhaft fest. Bisweilen wird die Zeichnung später vom Kolorit begleitet oder überlagert, bisweilen avanciert ein eleganter Strich aber allein
Licht der Öffentlichkeit erblicken ohne zuvor von seinem Schöpfer liebevoll und mit Bedacht auf einen ausgewählten Namen getauft worden zu sein.
Öldurst hat der Künstler nun diese Zusammenstellung seiner Arbeiten genannt. Aus zwei Komponenten setzt sich das Wort zusammen und zwei Aspekte umschreibt es auch: Öldurst erklärt sowohl das technische Vorgehen hinter den Bildern, als auch die Gefühlslage des Künstlers vor und während des Schaffensprozesses. Viel ist schon geschrieben worden über den innewohnenden Drang des Menschen sich zu allen Zeiten und in allen Regionen künstlerisch auszudrücken. Die einen nennen es Kunstwollen, andere reden vom zutiefst erfüllenden Glück, das eigene Innenleben durch bildhafte Formen nach außen kommunizieren zu können. Kai Klahre geht
noch einen Schritt weiter. Er spricht von seinem Werkschaffen nicht als einer einfachen Tätigkeit, sondern von einer Sucht, die ihn ergriffen habe. Seine Droge ist die Ölfarbe, wobei der Durst nach ihr nahezu unstillbar ist. Sie stellt für ihn das ultimative
Kunstmaterial schlechthin dar: Sie ist eine
Art Masse und dabei doch wandelbar. Sie ermöglicht jede Form des Auftrags, jede erdenkliche Mischung, jeden noch so subtilen Tonwert. Sie überdauert die Jahrhunderte. Ja, sie lässt sogar Skulpturen aus Holz, Metall oder Papier zu dreidimensionalen Bildern werden. Sie vermag all das auszudrücken, was der Künstler sich in seinen kühnsten Träumen ausmalt. Kurzum: Roger de Piles würde Kai Klahre in die Arme gefallen sein ob seiner koloristischen Begeisterung.
Welches Gewicht der in Nürnberg ansässige
Künstler der Farbe beimisst, wird nicht nur in der Überschrift dieses Buches, sondern auch in zahlreichen Titeln einzelner Arbeiten offenbar. Da weiß Klahre von hungrigen „Farbenfressern“ zu erzählen oder von jungen Frauen, die erst unter Zuhilfenahme zarter Aquarellkreise einen Raum zu begreifen im Stande sind. Ein in flammendes Rot zum autonomen Kunstwerk. Auf Kupferdruck Büttenpapier sind die neuesten Zeichnungen entstanden. Auf diesem Bildträger zu arbeiten ist durchaus diffizil, wobei die Herausforderung auch auf den Rezipienten übertragen wird. Der unkorrigierbare Weg der Linie lässt sich authentisch vom Auge des Betrachters auf dem rauen Papier nachvollziehen und macht das Sehen zum sinnlichen, fast haptischen Erlebnis.
Nahbar lässt Klahre den königlichen Reiter erscheinen, der sich aufgemacht hat, den „langen Weg von Magdeburg nach Bamberg“ zu Pferde zurückzulegen. Durch unwegsames Gelände und grüne Dunkelheit führt ihn seine Reise. Wie gut, dass der Fürst seine Krone zumindest imaginär über sich trägt. Wer weiß, ob er sonst den Strapazen Stand gehalten hätte. Über ihm jedoch spannt sich bereits ein lichtblau aufgehellter Sommerhimmel,
der Gutes verheißt. Erst im Zusammenspiel
der Struktur gebenden Linien und der atmosphärisch eingesetzten, luciden Farbigkeit kann die abenteuerliche Reise dieses Reiters ihre zauberhafte Kraft entfalten.
Bisweilen begnügen sich die Protagonisten in Kai Klahres Geschichten jedoch nicht mehr mit der Fläche. Die Neugier und der Freiheitsdrang manch einer Figur sind so groß, dass die vorgegebenen Rahmen und Materialien einfach nicht mehr ausreichen. Vermutlich ist es einer „Skythin“ auch völlig unzumutbar, sich mit lediglich zwei Dimensionen zufrieden zu geben. Als sei sie aus ihrem Bildraum forsch und mutig in unsere Realität gelangt, muss sich das Mädchen auf seinem extravaganten Reittier erst wieder zurechtfinden. Das ist nicht verwunderlich. Schließlich hat sie nicht nur ein paar tausend Kilometer, sondern ebenso viele Jahre durchsprungen. So gefährlich ihre Schieflage erscheinen mag, so energisch wirkt sie jener entgegen. Ohne Zweifel wird es ihr gelingen. Gehört sie doch zu einem Reiternomadenvolk, das vor nahezu 3.000 Jahren die eurasischen Steppen nördlich des Schwarzen Meeres durchstreifte. Die unerschrocken voran stürmende Reiterin ist nur ein Werkbeispiel von vielen aus Kai Klahres Œuvre, welches verdeutlicht, dass der Formwille des Künstlers keine Grenzen kennt. Er durchdringt die Dimensionen und die Materialien. Lassen sich einige der Arbeiten noch den klassischen kunsthistorischen Gattungen wie Grafik, Gemälde oder Plastik zuordnen, so scheinen bei vielen Arbeiten diese traditionellen Klassifizierungssystem obsolet. Manche Figuren benötigen eine ganz besondere künstlerische Behandlung. Der „Wellenbrecher“ braucht Bewegungsspielraum und wird hierfür kurzerhand aus dem flächigen Bildraum
herausgelöst, auf einen Vorsprung gestellt und mit einem echten Schwert ausgestattet. Auch dem einzigartigen Bewacher der Unterwelt widmet Klahre eine einzigartige Schöpfungstechnik. Während Hades darum bemüht ist, seine Einsamkeit zu bewahren, verformt der Künstler den Bildträger aus Aluminium mit Feuer, um ihn danach für sein Lieblingsmaterial, die Ölfarbe, zu bereiten. Zeigt er den Gott der Unterwelt in der oberen Bildhälfte als durchaus friedlichen Gesellen, der eigentlich nur seine stille Zurückgezogenheit genießen möchte, belässt er den unteren Teil nüchtern metallsichtig.
Dazwischen wird die Grenze gezogen und durch das dreiköpfige Ungeheuer bewacht.
Kai Klahre sieht sich in den großen Geschichten der Menschheit und der Tierwelt um, und weist durch sein künstlerisches Handeln den Protagonisten ihre ganz individuelle Sphäre zu. In eigens vom Künstler geschaffenen Räumen dürfen sie sich im wahrsten Sinne des Wortes entfalten. Groß angelegt ist das Reservoir an künstlerischen Möglichkeiten aus dem Klahre dabei schöpfen kann.
Und dennoch: die Ölfarbe bleibt das essentielle Material für all die Bilder, die gemalt werden wollen. Für Kai Klahre ist sie das Medium für die Unendlichkeit der Kunst: „Die das begriffen haben, kommen nie wieder davon los.“
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