Presse
Katalogtext anlässlich der Ausstellung „Ohne Verfallsdatum“ in der Galerie Helle Coppi, Berlin
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Michael Lauterjung entführt uns in die faszinierende Dingwelt der Stilllebenmalerei. Der berückende Reiz des Illusionismus kollidiert dabei mit der Tradition abstrakt informeller Kunst. Der realistisch gesehene Gegenstand ist bei Lauterjung immer nur ein Teil des Gemäldes; gleichwertig zu verstehen ist der als Hintergrund doch nur unzureichend bezeichnete mehr oder weniger abstrakt-informelle Teil.
Lauterjungs Ausbildung als Maler und seine frühe künstlerische Tätigkeit sind in diesem Zusammenhang anzuführen. Ausgebildet wurde er in den 1980er Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart: zunächst bei dem Bildhauer Karl Henning Seemann und dann, nach einem Jahr zur Malerei überwechselnd, bei Rudolf Haegele. Dem u.a. an Jean Dubuffet orientierten Haegele ging es um die Vermittlung der Bedeutung von Materialität, Fläche und Struktur. Bei der in den 1980er Jahren an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien lehrenden Maria Lassnig beendete Lauterjung mit einem einjährigen Gaststudium seine Ausbildung und ließ sich anschließend, 1987, in Köln nieder. Die damals entstandenen weitgehend abstrakten Arbeiten sind geprägt von der Suche nach kraftvoller flächenhafter Einfachheit. Die unterschiedlichen miteinander kombinierten Materialien Acryl, Lack, Öl und auch Kreide verwendet Lauterjung bis heute.
Unzufrieden mit der oberflächlichen Einteilung der Kunst in abstrakte und realistische Malerei begann Lauterjung Mitte der 1990er Jahre damit, beides miteinander zu verbinden. Am Anfang des Arbeitsprozesses steht dabei häufig eine mehr oder weniger quadratische Holztafel, die in mehreren Schichten mit verschiedenen Materialien zumeist in horizontalen Strukturen abstrakt gestaltet wird. Lauterjung malträtiert die auf dem Boden liegende Holztafel regelrecht. Unstimmiges kann dabei durchaus mit einer Flex auch wieder abgeschliffen werden. Es finden sich auch mit dem Schraubenzieher gezogene horizontale Einkerbungen. Erst nachdem so ein stimmiges, die ganze Bildfläche bedeckendes Strukturgebilde entstanden ist, entscheidet Lauterjung intuitiv, welcher Gegenstand hierzu formal oder farblich passen könnte. Dieser wird dann in Feinmalerei auf die nun nicht mehr auf dem Boden liegende, sondern in der Senkrechten sich befindende Holztafel aufgetragen. Spannungsvoll zeigt sich das Ergebnis des Perspektivwechsels dann auch im Gemälde, in der widerstreitenden sinnlichen Erfassung der Bildfläche: einerseits die materiell-undurchdringliche Bildoberfläche verstanden als Aufsicht, andererseits die illusionistische Negierung der Bildfläche verstanden als An- oder besser noch als Durchsicht. Als täuschende Verführung hebt sich der vertraut dreidimensional erscheinende Gegenstand vom abstrakten Grund ab, doch bereits nach kürzerer Betrachtung wird deutlich, dass vielfältige Entsprechungen den auffälligen Gegensatz überlagern. Die oft mehr oder weniger auf einer Linie aufgereihten Früchte korrespondieren mit der horizontalen Struktur des Grundes. Man könnte fast meinen, dass sie auf einer imaginären Horizontale durch das Bild kugeln, obwohl ihre Anordnung genau komponiert ist.
In den klassischen Stillleben des 17. Jahrhunderts war das Verhältnis von Figur und Grund eindeutig und unproblematisch. Nicht so bei Lauterjung, da es bei ihm keinen eindeutigen Umraum mehr gibt. In einigen Fällen scheinen die Gegenstände zu schweben, dann wieder scheinen sie auf einer nicht bestimmbaren Fläche aufzuliegen. Schatten und Spiegelungen sind oft angegeben, doch eine Klärung der Räumlichkeit ist damit nicht verbunden. Solche Irritationen sind Teil eines Konzepts, das den Betrachter wegführen soll von einem rein gegenständlichen Sehen.
Bereits im frühen 17. Jahrhundert finden sich – v.a. in Spanien – vereinzelt Stillleben, bei denen die Künstler einzelne Gegenstände ganz bewusst isolieren, um ihnen so eine fast magische Aura zu verleihen. Eine solche Magie der Dinge ist auch Lauterjung nicht fremd, wie die Gemälde mit den zentrierten Schalen zeigen. Die von Rudolf Arnheim nachdrücklich beschriebene „Macht der Mitte“ lässt hier die Zeit still stehen und das Bild zum Meditationsobjekt werden. Die Schale, ein Gegenstand von großer elementarer Einfachheit, die eigentlich dem praktischen Leben angehört, wird hier mit einem Solo-Auftritt geehrt und damit zum Objekt der Anschauung, der Kontemplation und des ästhetischen Genusses geadelt. Doch durch das bereits beschriebene Wechselspiel von illusionistischem Gegenstand und materieller Bildfläche, von Durch- und Aufsicht, verlagert sich das meditative Moment zugleich auch wieder auf die Wahrnehmung selbst.
Dr. Stephan Weber, Dresden
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